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Viel beachtete landesweite 7. interdisziplinäre Fachtagung zur Bekämpfung häuslicher Gewalt der Polizeidirektion Braunschweig und der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig am 4. Mai 2021 in digitalem Format

Pandemiebedingt fand die diesjährige, mittlerweile zum siebten Mal in Folge durchgeführte interdisziplinäre Fachtagung zur Bekämpfung häuslicher Gewalt der Polizeidirektion Braunschweig und der Generalstaatsanwaltschaft Braunschweig erstmals digital statt.

Ihr Leitgedanke war in diesem Jahr „Trauma als Prozess“. Wo sind Schwächen in unserem Hilfesystem, wo bestehen weitere Bedarfe? Was läuft gut, was muss verbessert werden?

Ziel dieser Fachtagung, an der zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Justiz, Polizei und weiterer Netzwerkpartner (Beratungsstellen, Frauenhäuser, Jugendämter u.a.) teilnahmen, sind der Austausch von Informationen und Fachwissen untereinander sowie die Stärkung der Zusammenarbeit. Dieses Netzwerk gewinnt gerade auch in der von der Corona-Pandemie geprägten Zeit bei wegfallenden persönlichen Kontakten stark an Bedeutung.

Aus der Praxis, für die Praxis“ lautete das Motto der interdisziplinären Fachtagung von Anfang an, und das hat sich bewährt.

Eine Kernbotschaft der Veranstaltung ist der Appell, sich weiterhin gemeinsam und nachhaltig für die Umsetzung und Einhaltung der Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt einzusetzen. Diese Bekräftigung hat heutzutage große Aktualität und braucht ein entschlossenes Signal. Die Istanbul-Konvention zielt auf das Recht jeder Frau auf ein gewaltfreies Leben.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist immer noch eine der weit verbreitetsten Verletzungen der Menschenrechte. Sie ist in ihrem Erscheinungsbild sehr vielschichtig und kommt in allen Gesellschaftsformen und -schichten vor. Sie umfasst häusliche Gewalt durch Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Nötigung, Körperverletzung, Misshandlung von Schutzbefohlenen, Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Freiheitsberaubung, Mord und Totschlag sowie Zwangsheirat und Kinderehe, Genitalverstümmelung, Nachstellung, Zwangsprostitution oder sexuelle Belästigung.

Mit der Fachtagung erfüllen wir gleichzeitig eine Forderung der Istanbul-Konvention nach interdisziplinärer Fortbildung.

Nach der Veranstaltungseröffnung durch Generalstaatsanwalt Detlev Rust und Polizeipräsident Michael Pientka befasste sich der Kreis von rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern intensiv mit dem zentralen Thema „Trauma als Prozess“. Hierzu referierte Frau Prof. Dr. phil. Ariane Brenssell von der Ostfalia – Hochschule für angewandte Wissenschaft – Wolfenbüttel und zeigte auf: Mit dem Ende der Gewalt ist die traumatische Erfahrung nicht vorbei. Der Verlauf eines traumatischen Prozesses hängt aber nicht nur von der Gewalttat ab. Entscheidend ist auch, welche Erfahrungen eine Frau in der Zeit davor und vor allem auch danach macht. Wer sozial und gesellschaftlich unterstützt wird, hat es leichter.

Dazu wurden wichtige Ergebnisse der Forschung zur Trauma-Arbeit präsentiert.

Generalstaatsanwalt Detlev Rust bekräftigt hierzu:

„Diese inzwischen überregional beachtete Fachtagung zeigt einmal mehr, wie wichtig es ist, dass wir in unserer Region einen möglichst einheitlichen Rahmen für Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung schaffen, der jeglicher Form von Gewalt gegen Frauen entgegensteht.

Ich freue mich besonders über die hohe Anzahl von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Veranstaltung in digitalem Format. Es zeigt, dass Bedürfnis und Wunsch nach Austausch und interdisziplinärer Zusammenarbeit gerade auch in Zeiten der Corona-Pandemie gleichermaßen groß sind. Mit Blick auf Umfragen zur Zunahme häuslicher Gewalt durch die Einschränkungen der Pandemie und eine hohe Dunkelziffer durch verändertes Anzeigeverhalten ist dies umso wichtiger.

Die Ziele, die wir uns gesetzt haben und die ebenso der Istanbul-Konvention zugrunde liegen, sind in hohem Maße aktuell. Ich bin sehr erfreut, dass die Zusammenarbeit aller Netzwerkpartnerinnen und Netzwerkpartner dafür so hervorragend funktioniert. Gleichzeitig ist uns heute der Ausblick gelungen, wie Re-Traumatisierungen Betroffener im Rahmen der Unterstützung weiter vermieden werden können.“

Polizeipräsident Michael Pientka verdeutlichte:

„Wir alle haben uns der großen gesellschaftlichen Relevanz aller Formen häuslicher Gewalt in den letzten 20 Jahren aktiv gestellt und gemeinsam Herausragendes für die Bekämpfung dieser Gewalt und den nachhaltigen Schutz der Opfer geschafft. Neben unserem polizeilichen Auftrag zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ist es die gewachsene, vertrauensvolle Vernetzung mit vielen Kooperationspartnern, die uns hier erfolgreich macht. Erfolgreich im Dienst der Menschen, die als Opfer häuslicher Gewalt unseren Schutz benötigen.

Wir wissen aber auch, dass die Belastungssituationen Betroffener und die damit einhergehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen uns fordern, nicht nachzulassen und die Opfer - auch bei unseren täterorientierten Ansätzen - in den Blick zu nehmen. Wir wollen verhindern, dass Betroffene verunsichert oder gar weiter traumatisiert werden, durch fehlende Informationen und subjektiv nicht erlebte Unterstützung durch Polizei oder andere beteiligte Stellen. Mit unserer Kooperation haben wir Initiative ergriffen, um den Schutzraum für Opfer häuslicher Gewalt sprichwörtlich zu erweitern.“


Die erkenntnisreiche Arbeitstagung schlossen die Veranstaltungsverantwortlichen Frau Katrin Heiland von der Staatsanwaltschaft Braunschweig und Frank Hellwig von der Polizeidirektion Braunschweig. Sie dankten für den Einsatz aller Beteiligten und begrüßten beide, dass mit Blick auf das Unterstützungsangebot für gewaltbetroffene Frauen in der heutigen professionell begleiteten Diskussion deutlich geworden ist, wie viel das Umfeld dazu beitragen kann, dass sich ein Trauma nicht als Prozess fortsetzen muss.


Hintergrund:

Die Istanbul-Konvention des Europarates zur Verhütung und zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011 ist seit 1. Februar 2018 in Deutschland in Kraft getreten.

Damit hat sich Deutschland verpflichtet, auf sämtlichen staatlichen Ebenen alle nötigen Anstrengungen zu unternehmen, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, den davon Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten, Gewalt zu verhindern und Täter bzw. Täterinnen zu bestrafen.

Im Rahmen dessen besteht die Verpflichtung, für Angehörige der Berufsgruppen, die mit Betroffenen und Tätern bzw. Täterinnen von Gewalttaten zu tun haben, ein Angebot an geeigneten Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Verhütung oder Aufdeckung solcher Gewalt, zu den Bedürfnissen und Rechten der Betroffenen sowie zu den Wegen der Verhinderung einer sekundären Viktimisierung („jemanden zum Opfer machen“) zu schaffen.


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